„Annuntio vobis gaudium magnum: Habemus Papam!” – oder: Der Hahn ist tot.
Fragil mutet die Papstgestalt an, in der Weite des Gewandes sich beinahe verlierend - erfasst in einem Augenblick, der Veränderungspotential in sich birgt. In der Hand fest umschlossen: der Hahn, das Symbol des Verrats. Über all dem eine leise Ahnung von tiefgreifender Verunsicherung, aber auch von spiritueller Energie.
Der Bildhauer Woytek drückt sich gerne metaphorisch aus, in seinen Figurationen begegnet uns eine individuelle Mythologie – eine spezifische Verschränkung christlicher Themen, mythologischer Motive und metaphorischer Bezugnahmen. So weiß er auch im aktuellen Werk seinem Thema eine eigenwillige Wendung zu geben, wenn er den im Markus-Evangelium beschriebenen Verrat des Petrus weiter denkt, neu denkt. Dabei die Zeitebenen verschiebt und so eine spannungsreiche Variante ins Spiel bringt: Der die Verleugnung Christi anzeigende Hahn ist tot, der künftige Papst wird seiner Verantwortung in all ihrer Dimension gewahr.
In dynamischer Biegsamkeit wendet sich der überlängte Körper dieser filigranen Figur himmelwärts. Zwiespalt und das Bewusstsein der eigenen menschlichen Schwäche spiegeln sich im ausdrucksvollen Antlitz. Die geöffnete Hand: nach Orientierung suchend, weit in den Raum ausgreifend. Charakteristisch dabei ist die subtile Modellierung der Oberflächen mit ihren bewusst gesetzten Fehlstellen, die – wie Spuren gelebten Lebens – die Außenhaut dieser Gestalt durchlässig machen. Woytek erhebt damit nicht das Makellose, vielmehr das Unvollkommene zum gestalterischen Prinzip. Der Aspekt von Verletzlichkeit, mithin von Vergänglichkeit, klingt unterschwellig mit.
Einer klassischen Gewandfigur ähnlich, ist die Gestalt eingeschrieben in eine zusammenfassende Außenkontur, deren seismographisch ausschwingender Verlauf sich im Umschreiten der Plastik entfaltet. Bei aller nach außen gerichteten Dynamik ist diese geschlossene Figur mit ihrem einwärts gewandten Blick jedoch vor allem durch eine innere Bewegtheit charakterisiert. Jene im Verborgenen waltenden Kräfte bilden sich im Hell-Dunkel-Spiel des Gewandes ab, dessen Faltenwerk ein Eigenleben führt – in dessen Volumen der Körper zu verschwinden droht, und das zugleich die Figur stützend aufrecht zu halten scheint. Die innere Dramatik nähert sich dem Wendepunkt: Seelischer Aufruhr wird sichtbar, der mit noch größerer Vehemenz in Duktus und Polychromie der das Thema variierenden Zeichnungen zur Anschauung kommt.
Dass sich diese Gestalt in einer Umbruchsituation befindet, wird schließlich im tänzelnd instabilen Schrittmotiv mit erdverbundenem Stand- und beweglich sich lösendem Spielbein offenbar: Schon der nächste Moment mag das Kippen des Balanceaktes mit sich bringen, den Verlust des äußeren und inneren Gleichgewichts. Spätestens jetzt wird klar: Wir sehen eine verunsicherte, vielleicht gar gefährdete Existenz vor uns - eingebunden in einen Spannungsbogen von irdischer Verhaftung und spiritueller Loslösung, hineingestellt in den Prozess kontinuierlichen Werdens und Wandelns.
Doch ist dieser Papst ausschließlich im eng gefassten theologischen Kontext zu sehen? Verweist dieses Bildwerk im Hinterfragen traditioneller Wertmaßstäbe und religiöser Dogmen nicht vielmehr auf Überzeitliches, Universelles - mithin auf die unvermeidlichen Grenzsituationen menschlichen Seins? Steht hier nicht vor allem der Einzelne in seiner inneren Zerrissenheit und mit all seinen subjektiven Widersprüchen im Fokus?
Eines ist gewiss: Woyteks Skulptur – ob für sich allein betrachtet oder eingebettet in den Klangraum einer multisensorischen Inszenierung mit Musik, Sprache und Bild – bietet in ihrer Vielschichtigkeit ein reiches Spektrum an gedanklichen Impulsen. Optische und taktile Eindrücke verquickend, affiziert diese Figur uns Betrachter auf direktem Wege. Sie fordert nicht nur intellektuelle Aufmerksamkeit ein, sondern setzt sich unvermittelt ins Verhältnis zu unserem subjektiven Körpergedächtnis, zu unserer Einfühlung.
Ambivalente Situationen, angesiedelt zwischen zweifelndem Zögern und entschlossenem Handeln, changierend zwischen Gefühl und Vernunft, sind als existentielle Lebensthemen gegenwärtig in Woyteks Kunst. Mit ihrer spirituellen Prägung verkörpern seine Figuren auch für eine säkular geprägte Zeit zugleich so viel mehr: Sie sind Form gewordene Emotion, die sich – auch jenseits jeglichen Narrativs – auf uns überträgt, uns involviert. Es sind verkörperte Metaphern, deren Intensität zu berühren vermag.
Dr. phil. Marion Vogt, Emotion und Metapher – Die facettenreiche Papstfigur des Bildhauers Woytek: www.marionvogt.de
Woytek über Habemus Papam
Eigener Bewusstheit verpflichtet, möchte ich einige Anregungen zur Reflektion und Betrachtung der Architektur des gesellschaftlichen Miteinanders metaphorisch zum Ausdruck bringen. Meine Skulptur,- Musik- und Literaturperformance fungiert hier vielfältig katalytisch.
Geprägt durch christlich-abendländische ethische Denkmuster möchte ich dabei – als wichtigen Baustein – die Gewissensfähigkeit des Menschen ansprechen, bzw. hervorheben. Als Metapher für diese Art Betrachtung habe ich eine (fiktive) Papstfigur gewählt, weil sie eingebettet in ihre Bedeutung und Herkunftsgeschichte die Kraft besitzt, epochal zu wirken. Kirchendogmatisch betrachtet handelt es sich beim Papst um den sozusagen legitimen Nachfolger des Apostel Petrus, gleichzeitig auch um das höchste Amt, mit dem ein Mensch bedacht werden, bzw. das er ausführen kann. Im Bewusstsein dieser Sendung ist er, der Papst, (und über ihn hinaus ein jeder Mensch) auf das sensibel geformte Gewissen angewiesen; das Gewissen – vielleicht das wichtigste Sensorium für ausbalanciertes Verhalten im gesellschaftlich-ethischen Sinne!
In der Betrachtung der Verleugnungsgeschichte des Petrus auf dem Hof des Pilatus, erschließt sich mir ein Sinnbild, das inspiriert und nach meinem Dafürhalten bei genauer Betrachtung eine weitreichende gesellschaftliche Relevanz besitzt.
Der krähende Hahn – wie durch Christus bereits vor seiner Gefangennahme angekündigt – signalisiert eindringlich dem betroffenen Petrus die von ihm begangene Verleugnung. Daraus resultiert ein Überführtsein und tiefe Reue, ("... Und alsbald, als er noch redete, krähte der Hahn. 61 Und der HERR wandte sich um und sah Petrus an. Und Petrus gedachte an des HERRN Wort, wie er zu ihm gesagt hatte: Ehe denn der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. 62 Und Petrus ging hinaus und weinte bitterlich."), die sein weiteres Leben prägte.
In meiner Betrachtung stelle ich die hypothetische Frage, was, wenn nun aber der Hahn als 'Anzeiger' jeglicher Form von 'Ungerechtigkeit' im Sinne der Gerechtigkeit und der Ethik, außer Funktion gesetzt wird, wie stellt dann der jeweils schuldhaft Betroffene eine Abweichung vom 'Rechten' fest? Mit meiner Skulpturperformance möchte ich völlig undogmatisch, jedoch nicht ohne eigene Position und Anerkennung der Notwendigkeit von Normen und Regularien, den Betrachter zu einer konstruktiven Auseinandersetzung und Reflexion darüber anregen, herausfordern. Darüber hinaus dient meine Performance der Vergegenwärtigung und Aufmerksamkeit gegenüber dieser, dem Menschen grundsätzlich angelegten Gewissensfähigkeit.
In der Schlussfolgerung dieser kurzgefassten Betrachtung ergibt sich mir – bei Beherzigung und Verinnerlichung dieser Zusammenhänge – eine immense Steigerung von umfassender Qualität im gesamtgesellschaftlichen Sinne.
Die Habemus Papam-Performance macht den tiefen, aufrichtigen persönlichen Wunsch nach Gelingen sichtbar und hörbar ! Sie verkörpert auch einen Appell für nachhaltige Glaubwürdigkeit.
Insbesondere wünsche ich der Kirche, der Hüterin und Verwalterin der "Geheimnisse Gottes", wie Sie sich selbst sieht, hier manifestiert in der Papstfigur, eine Stärkung der Gesellschaft durch glaubwürdig gelebte Vermittlung Ihrer Thesen und Postulate. In meiner Wahrnehmung sehnen sich Menschen nach zuverlässigen, ehrlichen Vorbildern. Sensibel, emphatisch geformtes Gewissen spielt nach meinem Dafürhalten hier eine Schlüsselrolle.
Im deutschen Titel meiner Performance: "Annuntio vobis gaudium magnum: Habemus Papam !" – oder: Der Hahn ist tot! müßte es eigentlich in der Erweiterung heißen:
Es lebe der Hahn!
Ergänzend noch: Formal betrachtet signalisiert die Figur in ihrem ekstatischen Redegestus, kontemplativer Betroffenheit und tiefer Trauer, das Ringen um Balance und offenbart auch Ihre Verletzlichkeit. Der linke, nackte Fuß der Figur stellt eine Verbindung zwischen dem höchstem Amt, der Transzendenz und dem Menschen bis zum niedrigsten Stand hin dar und macht ihn, den Papst, so in seinem Vermittlerstatus und Sendung grundsätzlich glaubwürdig. Dieser, nach dem Halt und Balance stützend-suchender Barfuß, unterstreicht noch zusätzlich die Fragilität dieser Mission und des Amtes.
Zum Schluss noch: Der Hahn wurde diesem jungen Papst tot gebracht, übergeben! Worauf er restlos verzweifelt, bestürzt und maßlos betroffen sein großes Lamento anstimmt.
Woytek